6 Tage Berge, Schnee und Gletscher…. und so viel Gulasch!
Ausbildungstour im Glockner-Gebiet mit Michael Vietze und Jan Schrewe
Auf was hatten wir uns da nur eingelassen?! Umgeben von eisiger Kälte, Schnee und Stille baumelten wir einsam an einem grünen Seil über einer Schlucht aus Eis. Was über uns auf dem Plateau geschah, entzog sich unserer Wahrnehmung. Nur ab und an drangen spärliche Infos zu uns hinunter. Dann wieder Stille. Mit einem plötzlichen Ruck gab das Seil nach und rutschte weiter in die Tiefe. Das wars dann wohl. Immerhin: Zumindest die Aussicht auf die menschenleere Gletscherspaltenlandschaft vor dem strahlend blauen Himmel war herrlich.
Doch beginnen wir von vorn. Die Anfahrt war verheißungsvoll: in 36 Kehren keuchten sich unsere PKWs kurvenreich über die Hochalpenstraße hinauf zum Glocknerhaus – ein Panorama, das immerhin 43 € Mautgebühr kostete und so manchem Beifahrer obendrein auf den Magen schlug. Oben angekommen, fand sich der Göttinger Trupp recht schnell zueinander. Beim Abendessen machten wir uns, den Großglockner mit seinen zwei Gipfeln und umliegenden Schneefeldern durch die Glasfassade des Hüttenanbaus im Blick, mit dem Endgegner der Tour und miteinander vertraut. Unter Jans Anleitung wurden anschließend bereits erste Seile gespannt und Knotentricks erprobt: Sackstich, Ankerstich und Prusik. Die ursprünglich geplante Gletscher-Route wurde schon an diesem Abend nach Konsultation der Hütteninsider wieder verworfen, da zu voraussetzungsreich und gefährlich für Anfänger auf dem Eis, wie wir es waren.
Tag 2 startete mit einem üppigen Frühstücksbuffet (von der Spärlichkeit abgeschiedener Berghütten noch keine Spur), gefolgt von einer ersten Rucksack-Razzia, bei der unnötiges Gepäck aussortiert und in den Autos eingelagert wurde. Erst einige Tage später sollte sich herausstellen, dass dabei drei Dosen Thunfisch, eine Dose Kichererbsen, 500 Gramm Bergkäse und Michael Endes 300 Seiten schwerer Klassiker „Momo“ unentdeckt geblieben waren. Am Parkhaus oberhalb der Pasterze konnten die Reste des einst gewaltigen Gletschers besichtigt werden, der sich inzwischen in einen Wildbach verwandelt hat. Von dort aus passierten wir eine düstere Grubenerlebiswelt und wanderten über Nationalparkwege mit abenteuerlicher Wildbachüberquerungseinlage (und infolge mindestens einem nassen Schuh) zu einem Schnee- und Eisfeld, bei dem die mitgebrachten Steigeisen, Eispickel und Seile erstmals zum Einsatz kamen. Bergaufwärts wurden Flüche auf nicht passende Steigeisen laut.
Doch am Ende belohnte der Aufstieg mit einer herrlichen Aussicht auf die Berg- und Gletscherlandschaft und dem Tagesziel der Oberwalder Hütte in Sichtweite. Auf der Sonnenterasse wurde Apfelstrudel geschmaust und am Abend das erste Gulasch der Tour vertilgt. Ein Hoch auf die österreichische Küche!
Noch ahnten wir nicht, was uns am darauffolgenden Tag bevorstand. Geh- und Bergungstechniken in Schnee und Eis sollten vertieft werden, hieß es. Im Gletschergebiet oberhalb der Hütte wurde eine Übungsstation für die Spaltenbergung aufgebaut. Mit Eispickeln und -schrauben wurden Ankerpunkte gesetzt. Dann kam der Moment, in dem recht beiläufig gefragt wurde, wer sich als erstes in die Gletscherspalte hinunterfallen lassen würde. Einige Leichtsinnige machten den Anfang. Doch nach und nach erfuhr jeder von uns, wie es sich anfühlt, allein durch Seil und Gurt gesichert an einem mehrere Meter tiefen Gletscherhang in Lebensgefahr zu schweben und die Rettung durch die Seilschaft auszuharren. Minuten um Minuten verstrichen, während wir von den Vorgängen, die sich oberhalb des Hangs abspielten, kaum etwas mitbekamen. Hatten sie die Lage unter Kontrolle? Mehrmals gab das Seil nach und katapultierte uns ruckartig einige weitere Zentimeter in die Tiefe.
Auf dem Plateau wurde indessen geknotet und gesichert, was das Zeug hielt. Auf die Seilschaft und die zusätzlichen Sicherungen der beiden Ausbilder war eben doch Verlass.
So konnten letztlich alle erfolgreich gerettet und am Nachmittag noch eine Besteigung des Mittleren Bärenkopfs angeschlossen werden. Umgeben von Wolkennebel stiegen wir am nicht enden wollenden Grat entlang und erreichten schließlich den Spitz, wo wir ein Törtchen vorfanden und in Feierlaune Gipfelschokolade verteilt wurde.
Mit Kletterpartien ging es auch am Folgetag weiter: Am Nordwest-Grat des Fuscherkarkopfes (3331 m) bekamen wir Einführungen ins Kraxeln in der Seilschaft und Absichern am Berg. Der aufkommende Hagel mit Gewitter scheuchte uns allerdings noch vor Erreichen des Gipfels wieder bergab, wo wir am letzten Steilhang schließlich von Michael und Jan am Seil abgelassen wurden. Schon wieder hingen wir mit voller Montur an einem einzigen Seil an einer Klippe!
Unten angekommen bahnten wir uns abseits der eigentlichen Wanderwege unsere Route, pausierten noch für ein Bad im eiskalten Bergsee, und erreichten schließlich just in time mit dem einsetzenden Platzregen die schon bekannte, von einigen Teilnehmern gar verfluchte, Grubenerlebiswelt und das daran anschließende Parkhaus. Im Glocknerhaus erwartete uns Szegediner Gulasch mit Knödeln und Spinatspätzle.
Die darauffolgenden Tage wurde Kurs auf den Großglockner aufgenommen und dafür nochmal Gepäck reduziert: Wechselkleidung, Kartenspiele, alles, was nicht zwingend benötigt wurde, musste zurückgelassen werden. Am steilen Hang des Leiterkopfs übten wir uns in kleinen Schritten und langsamerem Gang und wanderten nach Passieren der Scharte am dahinterliegenden Südhang entlang von Edelweiß und Murmeltieren zur Salmhütte mit Kaffee, Kuchen und Kaiserschmarren-Pause.
Über einen gerölligen Berghang, Schneefelder und einen Klettersteig ging es von dort aus weiter hinauf zur Adlersruh am Fuß des Glockners. Auf 3.454 Höhenmetern wurde die Luft schon deutlich dünner und das Wasser knapper. Wir waren über den Wolken angelangt. Auch dort hatte der Hüttenwirt bereits Gulasch aufgesetzt. Nach viel Gelächter beim Karteln fielen wir schließlich in die Matratzen.
Für den Aufstieg auf den Großglockner erwachten wir schon vor Sonnenaufgang um 5:30 Uhr und machten uns mit Steigeisen, Pickel, Gurten und Seil auf den Weg über den steilen schneebedeckten Hang. Am Glocknerleiterl herrschte bereits Hochbetrieb. Jetzt ging’s ans Klettern. In drei Seilschaften erreichten wir nach ca. einer Stunde den windigen Gipfel auf 3798 Metern. Zur Feier wurde Gipfelschoki verteilt, die wohl an der Gepäckkontrolle vorbeigeschleust worden war.
Durchgepustet kletterten wir am Buckel des Glockners zurück zur Adlersruh, wo wir uns mit Kaffee und Kuchen belohnten, bevor wir den weiteren Rückweg zur Salmhütte antraten. Nach einer schon lange zuvor angekündigten Übungseinlage zum Rutschen im Schnee und einer Challenge zur T-Sicherung mit Eispickel, trafen wir wieder pünktlich zum Abendessen ein. Es gab herausragende Käsespätzle, Schweinebraten und, man ahnt es schon, Gulasch – diesmal mit Würstchen und Kartoffeln.
Den letzten Vormittag der Ausbildungstour verbrachten wir im Sonnenschein am Hang der Salmhüttenweide bei Knoten- und Sicherungsübungen. Anschließend ging es diesmal den längeren und nur scheinbar weniger steilen Weg am Berghang zurück zum Glocknerhaus. Erfrischt durch eine kurze Wildbach-Badeeinlage folgte der letzte Anstieg, der uns nochmals ordentlich ins Schwitzen brachte. Durchnässt und doch mit ausreichend Puste für ein letztes Wettrennen am Berg erreichten wir am späten Nachmittag die Sonnenterrasse des Glocknerhauses. Als der lange geheimgehaltene Speiseplan fürs Abendessen verkündet wurde, mussten wir ordentlich lachen: Es gab Szegediner Gulasch mit Knödeln und Spinatspätzle. Eine letzte Nacht verbrachten wir im nun bereits vertrauten Schlaflager unterm Dachgiebel. Dann ging’s nach dem gemeinsamen Frühstück und sechs Tagen Hütten- und Wanderspaß zurück in die Autos. Noch einmal rollten wir Österreichs schönste Panoramastraße entlang, im Gepäck nicht nur stinkige Wanderkleidung, einige nicht gebrauchte Riegel und zwei Thunfisch-Dosen auf Reserve, sondern auch jede Menge neu Gelerntes über Knoten, Gletscherspalten, Almhütten und den Unterschied zwischen gewöhnlichen Wanderern und wahren Bergsteigern.